Der KlimaEntscheid Münster begrüßt, dass mit dem Reallabor Wolbecker Straße eine breite Beteiligung von Anwohner*innen und Bürger*innen sowie eine hohe öffentliche Resonanz erreicht wurde. Die öffentlichen Diskussionen zeigen, dass es in der Münsteraner Bevölkerung eine breite Akzeptanz für Transformationsprozesse gibt, die als Mehrwert an Lebens- und Stadtqualität verstanden werden. Aus diesen positiven Erfahrungen heraus fordert der KlimaEntscheid stärkere Auseinandersetzung mit folgenden Themenbereichen:

  • Umsetzung der Klimaneutralität 2030
  • Anpassung an die Klimaerhitzung und Trockenperioden (Schwammstadt)
  • Generationengerechtes, inklusives, gemeinwohlorientiertes und sicheres Stadtviertel
  • Sehr schnelle Adaption der Ergebnisse auf andere Stadtviertel

Schnell umgesetzte Transformationsprozesse kommen allen Bürger*innen der Stadt zugute. Der Dialogprozess an der Wolbecker Straße hat gezeigt, dass notwendige Veränderungen der Stadt zwar kritisches Diskutieren, aber keine generelle Ablehnung hervorrufen. Dies kann aus Sicht des KlimaEntscheid als klares Signal an Politik und Verwaltung verstanden werden, mutige Schritte in Zeiten der Klimakrise zu gehen.

Ausführliche Stellungnahme und weitere Ausführungen

Darüber hinaus sind aus der Perspektive des KlimaEntscheids folgende Punkte unerlässlich:

  • Der Beteiligungsprozess sollte als exemplarisch für weitere notwendige Transformationsprozesse im öffentlichen Raum betrachtet werden. Die hohe Geschwindigkeit, mit der die Verkehrswende umgesetzt werden muss, um Klimaneutralität 2030 zu erreichen, erlauben es nicht, kleinschrittig in allen Verkehrsachsen und Stadtteilen entsprechende Reallabore und Planungsverfahren durchzuführen. Daher sollten die für die Wolbecker Straße erarbeiteten Prozesse und hieraus entstehenden Konzepte auf andere Verkehrs- und Stadtentwicklungsprozesse (kontextspezifisch angepasst) übertragen und innerhalb weniger Jahre realisiert werden.
  • Die im Reallabor entwickelten vielfältigen Ideen müssen sich am Ziel Klimaneutralität 2030 messen lassen. Viele der im Reallabor konsensuell diskutierten Maßnahmen (z.B. Balkonkästen, Verkehrsberuhigung) reichen jedoch isoliert nicht aus, um Klimaneutralität 2030 zu erreichen. Im weiteren Planungsprozess sind daher die Vorschläge und Ideen so weiterzuentwickeln bzw. zu kombinieren, dass sie dem Ziel Klimaneutralität 2030 entsprechen.
  • Die im Reallabor entwickelten Ideen müssen zudem kritisch dahingehend geprüft werden, inwiefern sie nachhaltige städteplanerische Adaptionsmaßnahmen angesichts steigender Temperaturen und Extremwetterereignisse darstellen (z.B. Hochbeete, grüne Inseln mit Bottichen). Hier sind insbesondere zusätzliche Maßnahmen wie Baumpflanzungen zu nennen. Weiterhin sollte die Anlage von Rigolen als mögliche weitere Maßnahme in Betracht gezogen werden. Bei der Umgestaltung des Martiniviertels können hier Erkenntnisse gewonnen werden, die auf andere Räume schnellstmöglich übertragen werden müssen.
  • Die im Reallabor entwickelten Ideen müssen einem generationengerechten, inklusiven, gemeinwohlorientierten Stadtviertel für alle dienen. Die Transformationsmaßnahmen orientieren sich daher an den Bedürfnissen der Allgemeinheit und setzen bei Interessenskonflikten eine Option für besonders bedürftige Menschen. Die Bedürfnisse der jungen Generation nach einer auch zukünftig lebenswerten Stadt sind gleichberechtigt zu berücksichtigen.

Klimaneutralität 2030, städteplanerische Adaption an den Klimawandel und generationengerechte, gemeinwohlorientierte Stadtviertel sind somit gesetzte und zu priorisierende Kriterien sowie Ziele für die im Reallabor diskutierten Maßnahmen. Hiermit lassen sich im weiteren Planungs- und Transformationsprozess die diskutierten Einzelmaßnahmen abwägen und bewerten:

Die Wolbecker Straße muss, um Klimaneutralität 2030 zu erreichen, in das Konzept einer autoverkehrsarmen Innenstadt eingefügt und der MIV radikal reduziert werden. Hierzu sind folgende (Ad hoc) Maßnahmen notwendig:

  • Priorität für gemeinschaftliche Beförderung
    ÖPNV mit Ergänzung durch On-demand-Angebot muss durch häufig fahrende, schnelle, zuverlässige, komfortable, preisgünstige und barrierefreie öffentliche Verkehrsmittel sichergestellt werden. Stellenweise könnte eine Ergänzung durch nichtkommerzielles Car-Sharing sinnvoll sein.
  • Weitgehende Sperrung für den Individualverkehr
    mit Ausnahmen für Menschen mit Behinderungen, Lieferdiensten und ähnlichen unabweislichen Bedürfnissen, um die aus der Konzeptstudie Klimaneutralität 2030 stammende notwendige Maßnahme der 50%igen Reduzierung des MIV auf dem Stadtgebiet nicht zu gefährden.
  • Zusätzlich ist eine Reduzierung der Fahrtgeschwindigkeit auf 20 bis 25 km/h anzustreben. Solange dies rechtlich nicht möglich ist, müssen durch Erhöhung des Drucks der Stadt auf den Bundesverkehrsminister via Deutschem Städtebund entsprechende Möglichkeiten in der Bundesgesetzgebung geschaffen werden. Ein Überholverbot für den verbleibenden MIV verhindert unangepasste Fahrweisen und reduziert die Gefahren für andere Menschen im öffentlichen Raum.
  • Die geplanten Baumaßnahmen am Servatiiplatz müssen in die Überlegungen zur Wolbecker Straße einbezogen werden. Schon jetzt muss eine perspektivisch deutlich reduzierte Verkehrsleistung im Sektor des MIV in der Konzeption der Wolbecker Straße enthalten sein.
  • Parkraumbewirtschaftung: kostenloses Parken nur für den Lieferverkehr; alle anderen Parkplätze entfallen weitestgehend. An deren Stelle eingerichtete Parkplätze für Menschen mit Behinderungen sind zu personalisieren (Zusatzzeichen 1044-11: „Mit Ausweisnummer XY“);
  • Mobilitätsgerechtigkeit: Aufteilung des Straßenraums mit Priorisierung für Fußgänger*innen, Fahrradfahrer*innen, mobilitätseingeschränkte Personen und ÖPNV.

Zur Adaption an den Klimawandel und zur Abfederung von Extremwetterereignissen müssen

  • Versiegelungen aufgebrochen werden, um Begrünung nachhaltiger mit Wasser zu versorgen,
  • die vorhandenen Grünflächen so aufgewertet werden, dass sie im Starkregenfall möglichst viel Regenwasser halten und versickern können im Sinne einer Schwammstadt,
  • Rigolen gebaut werden, um Starkregen aufzunehmen (Planungen bzw. Erkenntnisse aus der Umgestaltung des Martiniviertels können hier aufgegriffen und fortgeführt werden),
  • mindestens auf der südlichen Straßenseite Bäume gepflanzt werden, um die Hitze abzufedern,
  • Regenwasser der Häuser sinnvoll zur Bewässerung der Begrünung an der Straße abgeleitet werden.

Für ein generationengerechtes, inklusives, gemeinwohlorientiertes Stadtviertel für alle müssen die Transformationsprozesse: 

  • die Teilnahme am Verkehr für alle sicher gestalten,
  • Konzepte zur Beförderung von alten, gehbehinderten oder kranken Menschen direkt zum Ziel beinhalten (z. B. mit Fahrradrikscha, siehe LeezenLOOP in der Innenstadt),
  • die zukünftigen Bedarfe von jungen Menschen in Hinblick auf eine nachhaltige, ressourcenschonende, klimaneutrale Stadtviertelveränderung im Blick behalten (Generationengerechtigkeit, Klimagerechtigkeit),
  • Fußwege aufwerten und für Fußgänger*innen freihalten, unberechtigt parkende Fahrzeuge konsequent sanktionieren und abschleppen,
  • das geltende Recht konsequent anwenden: strikte Kontrolle der Zufahrtsbeschränkungen und der Inanspruchnahme öffentlichen Raums. Beispielsweise sollte ordnungswidriges Gehwegparken durchgehend sanktioniert werden.
  • nichtkommerzielle Begegnungsorte mit hoher Aufenthaltsqualität für Quartiersbewohner*innen und für die gesamte Stadtgesellschaft schaffen.
  • Hausbesitzer*innen und Anwohnende gemeinwohlorientiert zu einer Mitwirkung bei der Begrünung ihrer Fassaden, Balkone, Gärten, Baumscheiben auffordern. Anlaufstellen für die Beratung der Anwohner *innen zu Aspekten der Biodiversität sollten angeboten werden.

Die Stadt Münster steht in der Verantwortung, eine auch in der Zukunft lebendige, lebenserhaltende und klimagerechte Stadtentwicklung voranzutreiben. Das Reallabor Wolbecker Straße hat gezeigt, dass es keinen grundsätzlichen Widerstand gegen diese Ziele gibt. Daher kann aus den Ergebnissen geschlossen werden, dass sowohl die Stadtverwaltung als auch die Politik mehr Mut zeigen können, Stadt- und insbesondere Straßenräume den Erfordernissen des Anthropozäns anzupassen. Hierzu sollten die Vorschläge zur Aufwertung des Stadtraums aufgegriffen und schnellstens planerisch konkretisiert werden. Eine umgehende Übertragung auf weitere Stadträume ist angezeigt.