Eine Kolumne von Michael Tillmann in der RUMS vom 29.01.2023

kennen Sie Sarah Bosetti? Mir jedenfalls war der Name unbekannt, bis mich vor drei Wochen meine Tochter auf einen Video-Post zur Klimakrise dieser Autorin und Kabarettistin aufmerksam machte. „Wir werden es nicht schaffen!” war ihre Botschaft und gemeint war damit unsere Unfähigkeit, uns der Klimakatastrophe wirksam entgegenzustemmen. Wir Menschen seien einfach nicht in der Lage, mit schleichend daherkommenden Krisen wie der Klimakrise umzugehen und rechtzeitig gegen zu steuern. Zu egoistisch, zu kurzsichtig, zu manipulierbar seien wir veranlagt, zu stark sei der Impuls zur Verdrängung. Also werde es wohl immer weiter gehen auf dem Weg in den Abgrund, auf dem „Highway to climate hell”, wie UNO-Generalsekretär Guterres es ausdrückte.

„Wir werden es nicht schaffen!” Das hat mich an das letzte Münsteraner Klimagespräch zum Thema „Klimaneutralität 2030 zwischen Ambition und Illusion” erinnert. Da fragte die Moderatorin zu Beginn der Veranstaltung das Publikum, wer denn glaube, dass Münster im Jahr 2030 klimaneutral sein werde. Keine einzige Hand wollte sich heben, und für einen Augenblick war es sehr still im Raum.

Das Ziel einer Klimaneutralität Münsters im Jahr 2030, vom Rat der Stadt im Jahr 2030 nicht zuletzt auf Druck der Klimabewegung beschlossen und bekräftigt, wird immerhin von fast allen Ratsparteien mitgetragen oder zumindest öffentlich nicht in Frage gestellt. Auch wenn unser Oberbürgermeister Markus Lewe nicht mehr davon spricht, Münster müsse die erste klimaneutrale Großstadt Deutschlands werden; die Zielsetzung 2030 hat er mehrfach mit eindringlichen Worten unterstrichen. Skepsis wird von Vertreter:innen der FDP recht offen artikuliert; auf Seiten der CDU, die ja die Grundsatzbeschlüsse in der damaligen schwarz-grünen Rathauskoalition mitgetragen hatte, werden ab und zu Zweifel laut, die aber eher bei Detailfragen ansetzen.

Berichte geben wenig Anlass zu Optimismus

In wenigen Wochen werden wir wieder eine Klima- und Energiebilanz der Stadt erhalten, jetzt für das Jahr 2021. Da werden wir Aufschluss darüber bekommen, welche Fortschritte wir in Münster bei der Treibhausgasreduktion gemacht haben. Im Hinblick auf das Ziel Klimaneutralität 2030 haben die bisherigen Berichte wenig Anlass zum Optimismus gegeben. Legt man das Reduktionstempo für den Zeitraum 2010 bis 2020 zugrunde, so wird Münster bei linearer Fortschreibung die Null-Emissionsline kurz nach 2070 erreichen.

Etwas besser sieht es aus, wenn man vom Zeitraum 2015 bis 2020 ausgeht; dann wäre Münster etwa 2055 klimaneutral. Die meisten Mitbürger:innen dürften vor diesem Hintergrund das Ziel Klimaneutralität 2030 für ähnlich unerreichbar halten wie die Einhaltung des 1,5-Grad-Limits aus dem Pariser Klimaabkommen. Hat es da Sinn, ein Ziel zu propagieren, an dessen Realisierbarkeit kaum ein Mensch glaubt?

Zuversicht, Optimismus und Hoffnung zu verbreiten ist das eine, Rechenschaft über gute Gründe dafür abzulegen ist das andere. Politiker:innen und andere Meinungsmacher sind nicht in der Situation des Titelhelden aus dem DDR-Film „Jakob der Lügner”, der im Warschauer Ghetto seinen Leidensgenossen mit erfundenen Geschichten über das Herannahen der sowjetischen Befreier Mut zum Durchhalten machen wollte, auch wenn einige Politiker zuweilen künftige technische Entwicklungen, deren Realisierung noch in den Sternen steht, bereits heute in ihre Prognosen einpreisen wollen. Seriosität geht anders.

Ehrlichkeit und Realitätssinn

Soll man dann das ehrgeizige Ziel „Klimaneutralität 2030″ nicht lieber einfach entsorgen, zumindest aber die Klimaneutralität erst für 2035 oder aber 2040 anstreben? Nein, das ist nicht mein Plädoyer.

Der Klimadiskurs in Münster braucht Ehrlichkeit und Realitätssinn. Beides ist aber kein Widerspruch zu ehrgeizigen Zielen und dem Bekenntnis zu unserer globalen Verantwortung, am deutlichsten ausgewiesen durch ein klar begrenztes CO2-Restbudget für Münster. Zur Ehrlichkeit gehört, dass Münster schon deswegen nicht im strengen Sinne in knapp acht Jahren klimaneutral sein kann, weil viele CO2-Emissionsquellen nicht von der Stadt beeinflussbar sind. Hierauf hat die Konzeptstudie „Münster Klimaneutralität 2030″ deutlich hingewiesen.

Zum einen unterliegen viele dieser Emissionen landes-, bundes- oder gar europarechtlichen Regelungen. Andere wiederum liegen allein im Entscheidungsbereich privater Haushalte. Also müssten Politik und Verwaltung präziser sagen, was sie unter Münsters Klimaneutralität 2030 verstehen, welche Teilbereiche zum harten Kern dieses gewaltigen Transformationsprozesses gehören. Eine klimaneutrale Stadtverwaltung, ein klimaneutraler städtischer Immobilienbestand (Schulen, Kitas, Sportstätten etc.), ein klimaneutraler ÖPNV und eine emissionsfreie Energiebelieferung durch die Stadtwerke müssten sicherlich dazugehören. Das bis 2030 zu schaffen sollte nicht unmöglich sein.

Das heißt nicht, die Bürgerinnen und Bürger außen vor zu lassen. Deren CO2-Fussabdruck findet immerhin zu einer guten Hälfte Eingang in die städtische Klimabilanz. Ihr Verhalten und ihre Entscheidungen bergen ein erhebliches Potenzial, dem Ziel Klimaneutralität bis 2030 deutlich näher zu kommen.

Die Hoffnung darf nicht sterben

Hier gibt es auf Seiten der städtischen Klimakommunikation und der Angebote zur zivilgesellschaftlichen Beteiligung noch viel Luft nach oben. Hoffentlich ist es kein schlechtes Zeichen, dass ein von Markus Lewe schon vor etlichen Monaten angekündigtes Stadt- und Bürgerforum, das auch zur Vorbereitung eines „Stadt-Klimavertrags” dienen soll, noch immer nicht terminiert ist.

Die Hoffnung aufzugeben, dass wir den Kampf gegen die Klimakatastrophe noch nicht verloren haben, können wir uns weder leisten noch gegenüber unseren Kindern und Enkeln verantworten. Hoffnung bleibt eine der wichtigsten Ressourcen für jedes Klimaengagement. Sie stirbt nicht zuletzt, sie darf überhaupt nicht sterben.

Am Ende ihres düsteren Klima-Posts lässt Sarah Bosetti dann doch noch einen Spalt der Hoffnung offen. „Überrascht mich!” fordert sie die Zuhörer und sich selbst auf räumt damit die Chance ein, in ihrem Pessimismus widerlegt zu werden. Auch eine Stadtgesellschaft kann sich selbst überraschen, indem sie mehr schafft, als sie sich noch vor kurzem zugetraut hätte.

In diesem Sinne: Bewahren Sie sich Ihre Hoffnung!
Michael Tillmann

Michael Tillmann hat an der Uni Münster Mathematik und Sozialwissenschaften studiert und diese Fächer über 36 Jahre unterrichtet. In den 90er-Jahren gehörte er dem Lenkungskreis an, der für Münster eine Lokale Agenda erarbeitet hat – ein Handlungsprogramm, um Kommunen nachhaltig werden zu lassen. Zusammen mit Münsters späterem Oberbürgermeister Berthold Tillmann (mit dem er nicht verwandt ist) hat er im Jahr 1998 den Diskussionsband Über unsere Verhältnisse zur nachhaltigen Stadtentwicklung Münsters herausgegeben. Außerdem ist er stellvertretendes Mitglied im Klimabeirat der Stadt Münster, war von 2015 bis 2020 verantwortlich für den Newsletter „Klima-Info Münster kompakt” und ist Initiator und Koordinator der „Münsteraner Klimagespräche”. Michael Tillmann ist 74 Jahre alt, seit 2020 Mitglied der Partei Bündnis90/Die Grünen und Großvater von fünf Enkelkinder.