Vorlage V/0487/2021


Durch die Verbrennung von fossilen Brennstoffen und die Emission von Methan zerstört die Menschheit ihre Lebensgrundlagen. Dies ist wissenschaftlich belegt und hat mit Angstmacherei nichts zu tun, sondern mit nüchternen Denkprozessen. Es braucht mutige Menschen, die diese Erkenntnisse nicht verdrängen und wissen, dass nur noch wenig Zeit bleibt, wenigstens die schlimmsten Folgen der Erderhitzung zu verhindern.
Aktuell sind wir jetzt schon bei 1,1 Grad globaler Erderwärmung angekommen. Wir leben aber in der Summe immer noch nach exakt der gleichen Logik, die uns in diese Situation gebracht hat: Wir verbrennen Öl, Gas, Kohle, verbrauchen Fleisch, Milch, Plastik und setzen damit weiterhin klimaschädliche Gase frei, die erst in 20 – 30 Jahren in der Atmosphäre angekommen sind und dann dafür sorgen werden, dass sich die Erde noch weiter aufheizt.
Obgleich diese Tatsache unausweichlich auf uns zukommt, bleibt bei dem nun von der Verwaltung der Stadt Münster vorgelegten Stadtentwicklungskonzept „Zukünfte 20|30|50“ die Frage offen, wie wir in Münster mit dieser Entwicklung umgehen sollen, geschweige denn sie noch verhindern können. Dieses sogenannte „Integrierte Stadtentwicklungskonzept“ (ISEK) soll in der Sitzung des Rates am 29.09.2021 als Grundlage der weiteren Stadtentwicklung beschlossen werden. Das vorgelegte Konzept ist in keiner Weise mit der im August 2020 vom Rat der Stadt Münster beschlossenen Klimaneutralität der Kommune bis 2030 vereinbar. (Mitglieder des KlimaEntscheid waren am 29.09.2021 vor der Halle Münsterland.)

Der Begriff Klimaneutralität kommt im Konzept der Stadt durchaus vor, folgt aber noch der inhaltlichen Maßgabe „möglichst klimaneutral“ zu werden („Masterplan 100 % Klimaschutz/Unser Klima 2030“). Damit bleibt er weit hinter dem zurück, was der Rat vor einem Jahr als Notwendigkeit anerkannt hat: „Echte Klimaneutralität“ bis 2030 meint nämlich jedes Jahr mindestens 10 % der CO2-Äquivalente einzusparen. Sollte dieses Ziel verfehlt werden, so muss nachgesteuert werden. Eine Kompensation ist nicht vorgesehen (Beschluss vom 26.08.2020).

Es wurde ein Stadtentwicklungskonzept mit breiter Beteiligung der Bürgerschaft erarbeitet, allerdings wurde dabei nicht berücksichtigt, dass die Auswirkungen des Klimawandels schneller und in stärkerem Maße auf uns zukommen als wir es bisher angenommen haben. Die Frage für ein ISEK hätte also heißen müssen: „Wie gehen wir mit einer mindestens 3° heißeren Stadt um? Wie gehen wir mit Stürmen um? Und wie gehen wir mit starken Niederschlägen/Überschwemmungen um? Was tun wir gegen das Kollabieren der Ökosysteme und welchen Teil können wir dazu beitragen, dass die Erderwärmung zumindest von unserer Seite her nicht weiter angeschoben wird? Und was machen wir, um den dominoartigen, kaskadenartigen Biodiversitätsverlust aufzuhalten?“

Stattdessen arbeitet das vorgelegte ISEK mit einer völlig anderen Zielvorgabe, nämlich einer Bevölkerungszahl von 500.000 Einwohner/innen bis 2050. Es bleibt unklar, wo diese Menschen alle leben sollen, welche Flächen für den Naturschutz bestehen bleiben, welche für Sport und Freizeit gebraucht werden, welche für Wohnraum. Ansätze, die bestehende münsteraner Initiativen zur Stadtentwicklung beitragen wollten, dass diverse, altersgemischte Bevölkerungsgruppen Wohnraum gemeinsam bewohnen, blieben unberücksichtigt. Stattdessen wird das Bild einer Metropole entworfen und als erstrebenswert postuliert, mit einer großen Zahl gut verdienender Menschen, die es sich leisten können, großräumig zu wohnen und dafür die Versiegelung weiterer Flächen auf dem Stadtgebiet in Kauf nehmen.

In den Verfahren zur Bürgerbeteiligung im Rahmen von „Münsters Zukünften stecken gute Ansätze; sie reichen aber bei Weitem weder quantitativ noch qualitativ aus. Reine Befragungen bspw. ohne vorherige, wissenschaftlich fundierte Aufklärung und ohne alle gesellschaftlichen Gruppen in den Dialog über verschiedene soziale Probleme und Lösungswege mit einzubinden, werden so eher nur die politisch Interessierten und Gebildeten angesprochen. Das zeigt nach unserer Ansicht, dass hier ein recht elitäres Verständnis von Beteiligung vorliegt und zu wenig langfristigem
Engagement führt.
In den Stadtforen wurde weder ausreichend für eine Vielfalt der Teilnehmenden noch für Diskussionen und gegenseitiges Verständnis untereinander gesorgt. Darüber hinaus fehlt das letzte Forum, das Beteiligungsprozesse insgesamt thematisiert. Dieses soll laut Beschlussvorlage „so schnell wie möglich in Präsenz“ durchgeführt werden, was wir sehr begrüßen. Uns ist bewusst, dass Haushaltsmittel knapp sind und es schwierig sein könnte, ohne Förderung(en)
Instrumente wie Bürgerräte einzuführen. Trotzdem lohnt es, wenigstens Elemente von Bürgerräten wie das Losverfahren zu nutzen, um auch langfristig die Gesellschaft in der Breite „mitzunehmen“. Wenn es von Stimmen aus dem Rat zurecht heißt, sie wollen beim konsequenten Klimaschutz gesellschaftliche Akzeptanz und damit langfristigen Erfolg garantieren, dann sind das genau die Vorteile, die ein Losverfahren bei Bürgerbeteiligung bietet: „eine vielfältige, altersgemischte Runde mit unterschiedlichen beruflichen und persönlichen Erfahrungshintergründen.“ Die Dialoge der unterschiedlichen Teilnehmenden untereinander verbinden die „Filterblasen“ und fördern den
gewünschten gesellschaftlichen Zusammenhalt. Erfahrungen mit Losverfahren sammelt die Verwaltung in Kürze bei einem BürgerInnendialog im Rahmen des Projekts ENGAGE, bei dem sie mit der WWU kooperiert. Losverfahren könnten auch bei weiteren ohnehin geplanten Beteiligungsformaten hinzugenommen werden. Ebenso könnte die kostenneutrale, digitale Software CONSUL genutzt werden, die die gesamte Bevölkerung an wichtigen und alltäglichen Entscheidungen ihrer Kommune mit einbezieht und dadurch wirksam gute Kommunikation und sozialen Frieden fördert.

In dem vorgelegten Konzept zu den „Zukünften 20|30|50“ sorgen sich auch die StadtentwicklungsplanerInnen um diese soziale Einheit. Ihr Rezept ist der Erfolg von Wirtschaft und Wissenschaft, der allen einen gewissen Wohlstand ermöglicht. Wir geben zu bedenken, dass es sich hier um die Grundidee zu handeln scheint, dass Münster erfolgreicher als andere Städte ist, wo es schon jetzt sehr viel mehr Arbeitslose gibt und die Infrastruktur für die Industriezentren der
Zukunft bereits vorhanden ist. Das ISEK „Zukünfte 20|30|50“ endet mit dem Szenario „wertvolles Münster“ mit der Priorisierung einer gestärkten Wirtschaft und exzellenten Wissenschaft. Alle anderen Menschen, die weder das ökonomische noch das intellektuelle Kapital haben, werden – so die Meinung der AutorenInnen – von diesen mitgezogen, sind also auf deren Erfolg und deren Gunst angewiesen. Das verkennt nach unserer Ansicht die Qualitäten vieler Menschen und bedeutet das Gegenteil von gleichberechtigter Teilhabe und Partizipation. Das Bündnis KlimaEntscheid schlägt stattdessen vor, dass wir MünsteranerInnen uns lieber auf die gemeinsame Gestaltung der Stadt Münster konzentrieren.

• Wir müssen dazu in Politik, Verwaltung und BürgerInnenschaft dringend eine gemeinsame und tragfähige Definition von „Klimaneutraltität“ aushandeln, klären und kommunizieren.
• Wir brauchen ganz schnell einen umfassenden Plan zum Stopp des Artensterbens in der näheren Umgebung. Wir haben dazu ein umfassendes Konzept erarbeitet. (Anregung GO24 zu Agrar-, Grünflächen und Forstwirtschaft)
• Wir fordern dringend einen Überblick, welche Flächen in der Stadt an welche NutzerInnen verteilt werden und wie wir in der gesamten Stadt Klimaschutz und Klimaanpassung umsetzen (nicht nur in sog. konkretisierten Flächen).
• Wir brauchen ein Mobilitätskonzept, das die Spitzenwerte der Emissionen in diesem Sektor
wirksam dauerhaft absenken kann.
• Und wir benötigen ein schnelles Vorgehen, wie wir unseren Energiebedarf aus eigenen
Mitteln decken.
• Münster braucht ein Stadtentwicklungskonzept, das zu diesen Fragen Stellung bezieht. Auf dieser Basis können wir in Zukunft dann auch Fördermittel akquirieren, die die Stadt überlebenswert machen.

Der Klimaschutz ist endlich als Oberthema und Klammer für alle weiteren Konzepte und Entwicklungen zu begreifen und stellt somit die unhintergehbare Basis für alle weiteren politischen und verwaltungsseitigen Entscheidungen dar. Alle unterschiedlichen Konzepte (auch aus den unterschiedlichen Dezernaten) müssen immer durch die „Brille“ der überlebensnotwendigen Klimaneutralität 2030 betrachtet werden. Unsere Stadt kann es sich nicht länger leisten, Ressourcen und Arbeit in die Entwicklung unterschiedlicher Konzepte zu verschwenden, die sich zum Teil diametral widersprechen und nicht der Klimaneutralität 2030 verpflichtet sind. Daher lehnen wir die Verwaltungsvorlage zu den „Zukünften 20|30|50“ ab und fordern eine angemessene, den Klimazielen verpflichtete Überarbeitung.