Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster hat am 28. März 2022 entschieden, dass die RWE Power AG die Grundstücke des Landwirts Eckardt Heukamp in Lützerath abbaggern und entsprechende Vorbereitungen dafür treffen darf. Als abschließende Begründung nennt das Gericht “Für eine Besitzeinweisung reicht es aus, dass die Versorgung des Energiemarkts mit Braunkohle gefährdet ist.”1 Auf diese Entscheidung möchte ich Bezug nehmen und meine offenen Fragen stellen. Und ich habe viele Fragen.
Der Landwirt Eckardt Heukamp sowie zwei der Mieter*Innen in Lützerath hatten Eilanträge gegen die Räumung vor dem OVG in Münster gestellt, nachdem das VG Aachen zugunsten der RWE Power AG entschieden hatte. Diesen Eilanträgen gibt das OVG nicht statt, denn “Weitgehend betrifft der Vortrag eher klimapolitische Forderungen, die im geltenden Recht keine Grundlage haben und an den Gesetzgeber zu richten wären.”1 Die klimapolitische Dimension ist also von der Regierung zu beurteilen. Die Ampel-Koalition hat im Koalitionsvertrag festgehalten, dass “über Lützerath die Gerichte entscheiden”. Dies erinnert doch irgendwie an das hin und her des satirisch gemeinten „Passierschein A38“ aus den Asterix & Obelix-Verfilmungen. Wird hier bewusst die Verantwortung abgegeben, etwa aus wahlpolitischen Gründen? Es verwirrt, dass die Justiz und die Gesetzgebenden hier die Verantwortung dem jeweils Anderen zuschieben. Liegt es daran, dass beide Seiten den Eindruck haben, hier nicht die Kompetenz zu besitzen und daher eine dritte Instanz ersuchen, bspw. die Bevölkerung selbst?
Im letzten Absatz des veröffentlichten Teils des OVG Urteils wird angeführt: “Die – für eine Besitzeinweisung erforderliche – Dringlichkeit der Fortführung des Tagebaus ergibt sich jedenfalls daraus, dass zwei Braunkohlekraftwerke ‘just-in-time’ mit Kohle aus dem Tagebau versorgt werden.”1 Die Rohstoffversorgung – hier mit Braunkohle – darf nicht unterbrochen werden. Bei welchem Rohstoff würde dies nicht zutreffen? Auf welchen Rohstoff könnte unsere Gesellschaft verzichten? Der Klimawandel wird durch die Verbrennung von Braunkohle befeuert und gefährdet unsere Wasserversorgung. Dürrejahre häufen sich in Deutschland, die Flüsse haben niedrige Pegel und der deutsche Wald vertrocknet großflächig,. Ist Braunkohle wichtiger als Wasser? Zur Befüllung allein des Tagebaus Garzweiler II soll ein See mit 2 Mrd. m³ Wasser geschaffen werden, der über vier Jahrzehnte mit Wasser aus dem Rhein befüllt werden soll. Bereits 2018 hatte der Rhein aber bedrohlich wenig Wasser. Woher soll das Wasser für Garzweiler II kommen, wenn der Rhein Niedrigstand hat und das Wasser für Fabriken sowie den Wassertransport benötigt wird? Warum darf die Versorgung mit Braunkohle nicht, die mit Wasser aber bereits heute gefährdet werden?
Im Passus des Urteils des OVG’s, “dass zwei Braunkohlekraftwerke ‘just-in-time’ mit Kohle aus dem Tagebau versorgt werden” steckt der Begriff “just-in-time”7. Just-in-time bedeutet: Alles, was heute an Kohle verbrannt wird, wird auch heute erst gefördert. Das ist wirtschaftlich sinnvoll, da keine Lagerung nötig ist. Gleichzeitig können die abzubaggernden Flächen so lang wie möglich anderweitig verwendet werden können. Laut DIW befinden sich unter den Flächen, die die RWE Power AG bereits heute abbaggern kann, aber bereits 230 Millionen Tonnen Braunkohle. Das ist mehr als die Kraftwerke vor Ort bis 2030 verbrennen können3. Die Versorgung der Kraftwerke ist also für die nächsten acht Jahre gesichert. Laut NRW Wirtschaftsministerium soll die RWE Power AG Kohle möglichst erst Gebiete erschließen, die nicht mit Dörfern belegt sind. Diese Flächen existieren und ein Erhalt von Lützerath für weitere Jahre würde dies nicht beeinträchtigen3. Wieso muss dann, laut OVG, Lützerath heute schon beseitigt werden, damit die RWE Power AG in acht Jahren Kohle “just-in-time” abbauen kann?
Bei all diesen Fragen kann ich als Mitglied der Scientists for Future nur deutlich mit dem Kopf schütteln. Ich setze mich dafür ein, dass die Gesellschaft erkennt, das Klimaschutz kein reines politisches Interesse ist, sondern dem Erhalt von uns Menschen, also dem Menschenschutz dient. Fossile Energien sind ersetzbar, Wasser ist hingegen unersetzlich und unsere Versorgung mit Wasser aktiv bedroht. Auch durch die RWE Power AG ist unsere Wasserversorgung bedroht, wie wir an den großen geplanten Seen ablesen können6. Fünf Dörfer wurden bereits gerettet.
Wann übernimmt endlich jemand die Verantwortung, auch das letzte Dorf zu retten?
(1) https://www.ovg.nrw.de/behoerde/presse/pressemitteilungen/21_220328/index.php
(2) https://www.tagesspiegel.de/downloads/27829944/1/koalitionsvertrag-ampel-2021-2025.pdf
(3) https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.819609.de/diwkompakt_2021- 169.pdf
(4) https://www.bmel.de/DE/themen/wald/wald-in-deutschland/waldzustandserhebung.html