16.02.2021 Michael Tillmann //
„Vor dem Klima(-wandel) sind alle gleich!“ – So gut sich der Satz anhört, so klar ist den meisten Mitbürger*innen, dass er nicht stimmt. Die gravierendsten Folgen des Klimawandels tragen diejenigen, die am wenigsten zu dessen Verursachung beigetragen haben. Das aufzuarbeiten und abzumildern ist ein Gebot der Gerechtigkeit, der Klimagerechtigkeit.
Schaut man sich den Vertrag an, auf den sich in Münster die Ratsvertreter*innen von GRÜNEN, SPD und VOLT aktuell verständigt haben, dann kommt dort das Wort „Klimagerechtigkeit“ trotz einer sehr hohen Priorisierung der kommunalen Klimapolitik nicht vor. Aber der Sache nach erscheint ein Verständnis von Klimagerechtigkeit, das es in sich hat. Da heißt es in dem Koalitionsvertrag:
„Durch eine Bilanzierung klimarelevanter Entscheidungen wollen wir erreichen, dass die Stadt nicht nur bis 2030 klimaneutral wird, sondern auch auf dem Weg dahin nicht mehr CO2 ausgestoßen wird, als Münster anteilig am weltweiten CO2 -Budget, das mit dem 1,5 °C-Ziel kompatibel ist, zusteht. Darüber hinaus ausgestoßene Emissionen müssen ökologisch verträglich kompensiert werden.“
Was das heißt, dürfte sich vielen nicht so ohne weiteres erschließen. Aufschluss kommt vom Weltklimarat (IPPC), der vor gut zwei Jahren Angaben dazu gemacht hat, welche Menge an Treibhausgasen die Menschheit nur noch ausstoßen darf, damit die mittlere Erderwärmung die 1,5°C nicht überschreitet. Dieses sog. CO2 -Budget, besser CO2 -Restbudget wäre ja dann auf die Länder dieser Erde aufzuteilen. Und da stellt sich die Frage nach welcher Maßgabe das passieren soll.
Kaum jemand wagt darauf eine andere Antwort zu geben als die, dass jedem Menschen natürlich nur das gleiche Recht auf Belastung der Atmosphäre mit Treibhausgasen und damit der gleiche Budget- Anteil zusteht. Und so kommt man zum Ergebnis, dass jeder Erdenbürgerin und jedem Erdenbürger beginnend mit dem Jahr 2021 ein maximales CO2-Budget von 40 Tonnen* zusteht, mehr nicht. Für Münster mit seinen 315000 Einwohnern käme man dann auf 12,6 Millionen Tonnen. (Zum Vergleich: derzeit dürfte Münsters Klimabilanz einen jährlichen Ausstoß von ca. 1,7 Millionen Tonnen CO2 ausweisen. Darin sind aber viele Emissionen aus Reisen, Ernährung und Konsum nicht enthalten.)
Das Ergebnis lässt zurückschrecken. Während die einen vielleicht anfangen in Zweifel zu ziehen, ob die Rechtsgleichheit aller Menschen bzgl. der Treibhausgasemissionen wirklich so zwingend gegeben ist, werden andere möglicherweise feststellen, wie meilenweit wir von einem Pfad entfernt sind, der diesen Vorgaben gerecht wird. Die Versuchung zur Resignation ist entsprechend groß. Wieder andere werden vielleicht darüber nachdenken, ob man mit kreativem Rechnen bei Münsters Bilanzen etwas nachhelfen kann. Der Beitrag über Kompensationszahlungen kann jedenfalls nur ein begrenzter sein, weil er unser Problem weitgehend wieder in den globalen Süden verlagert.
Das, was die neue Rathauskoalition in ihren Vertrag programmatisch verkündet hat, ist mutig, sehr mutig. Von einer Zumutung werden viele sprechen. Und sie haben recht: Es ist eine Zumutung, die aber eine der fundamentalsten Realitäten für das Leben und Überleben auf unserem Planeten wiedergibt. Und deswegen gilt es, diesem Gedanken und Imperativ einer globalen Klimagerechtigkeit mehr und mehr Raum und politische Gestalt zu geben, harte Auseinandersetzungen und Konflikte inklusive. Und wir in Münsters Bürgerschaft werden das alles nicht nur bei der Politik und Verwaltung abladen können. Unterstützung, nicht nur mit Worten und Erklärungen, muss auch von der Zivilgesellschaft kommen.
_ _ _
* Zum rechnerischen Nachvollziehen: Das globale Restbudget ab 2021 von ca. 300 Milliarden Tonnen dividiert durch die Weltbevölkerungszahl von 7,5 Milliarden Menschen ergibt diesen Wert. Bei diesem Restbudget liegt die Wahrscheinlichkeit, dass damit das Limit von 1,5 Grad nicht überschritten wird, dann bei 2/3. Genaueres wäre nachzulesen unter https://scilogs.spektrum.de/klimalounge/wie-viel-co2-kann-deutschland-noch-ausstossen/