Wladimir Sliwjak und drei weitere Preisträger bekommen den diesjährigen schwedischen Right Livelihood Award. Was ist über den Ökologen aus Russland bekannt und wofür setzt sich Sliwjak ein?
Mit dem schwedischen Right Livelihood Award, auch bekannt als „alternativer Nobelpreis“, werden in diesem Jahr vier Personen ausgezeichnet, unter ihnen auch der 48-jährige russische Umweltschützer und Aktivist Wladimir Sliwjak. Er ist Ko-Vorsitzender der russischen Organisation Ecodefense. „Die Auszeichnung bedeutet größere Aufmerksamkeit für die Aktivisten-Bewegung in Russland, die von der russischen Regierung unterdrückt wird. Dies bedeutet größere Aufmerksamkeit für die Klima-Bewegung gegen die Nutzung von Kohle und Atomkraft. Ich hoffe, dass dies nicht nur unserer Organisation helfen wird, sondern auch allen anderen Aktivisten, die sich in Russland dieser Probleme annehmen,“ sagte Sliwjak der DW am Dienstag.
Gegen Atomkraft und Abfallimporte
Wladimir Sliwjak wurde 1973 in Kaliningrad geboren. Seit über 30 Jahren engagiert er sich für den Umweltschutz. 1989 entstand auf Grundlage der Kaliningrader Bewegung „Solidarität“ die Organisation Ecodefense, die von Sliwjak mitbegründet wurde. Bereits 1994 startete er eine Anti-Atomkraft-Kampagne, die die Abschaltung des inzwischen stillgelegten litauischen AKWs Ignalina vom Typ Tschernobyl forderte. Vier Jahre später gelang es Ecodefense zusammen mit bulgarischen Aktivisten, den Transport abgebrannter Brennelemente aus Bulgariens einzigem Atomkraftwerk Kosloduj nach Russland zu stoppen. „Diese enormen Erfolge haben bewiesen, dass selbst im autoritären Russland zivilgesellschaftliche Initiativen staatlich unterstützten Projekten wirksam etwas entgegensetzen können“, heißt es auf der offiziellen Website des Preises zur Arbeit von Ecodefense.
„Wer Wladimir kennt, weiß, dass er ein gradliniger Mensch ist und keine Kompromisse macht. Er ist immer bereit, sich mit Themen auseinanderzusetzen, für die es, gelinde gesagt, kein öffentliches Interesse gibt. Wenn er weiß, dass etwas wichtig ist, kann ihn nichts mehr aufhalten. Das Thema Atomkraft ist komplex und er greift Aspekte auf, die keine Beachtung finden. Er war der erste, der den Import von abgereichertem Uran aus Deutschland nach Russland zum Thema machte“, erzählt Wladimir Tschuprow, Projektleiter bei Greenpeace-Russland, im Interview mit der DW.
2012 veröffentlichte Sliwjak das Buch „From Hiroshima to Fukushima„, in dem er die Ursachen und Folgen der AKW-Katastrophe in Japan im Jahr 2011 analysiert. Der Umweltaktivist fragte sich unter anderem, wie es zu einer solchen Havarie in einem der technisch fortschrittlichsten Länder der Welt kommen konnte. Darüber hinaus versuchte er abzuschätzen, inwieweit russische Atomkraftwerke sicher sind und ob eine Wiederholung der Tschernobyl-Tragödie im heutigen Russland möglich ist. „Ich lese sein Material und seine Kommentare immer mit Interesse. Sie sind professionell, genau, zeitnah und kompromisslos“, urteilt der Leiter des russischen „Zentrums für Umweltinvestitionen“, Michail Julkin, im DW-Gespräch. „Sie enthalten Kritik, die manchmal ziemlich scharf ist, aber ohne Gemeckere. Es sind keine pauschalen und haltlosen Anschuldigungen. Es ist immer der Versuch, objektiv zu verstehen und die beste, nachhaltige Lösung zu finden.“
Verfolgung als „ausländischer Agent“
Sliwjak und seine Organisation Ecodefense haben in Russland eine ganze Generation von Umweltschützern und Aktivisten hervorgebracht. Seit 1995 absolvierten mehr als 10.000 Studierende die Bildungsprogramme der Organisation. Und von 2012 bis 2015 unterrichtete Sliwjak das Fach Umweltpolitik an der „Hochschule für Wirtschaft“ in Moskau.
Als erste Umweltorganisation wurde Ecodefense im Jahr 2014 von den russischen Behörden in das Staatsregister der sogenannten „ausländischen Agenten“ eingetragen. Als offizieller Grund wurde die Kampagne der Aktivisten gegen den Bau eines AKWs in der Region Kaliningrad angegeben, der schließlich gestoppt wurde. Wladimir Sliwjak klagte gegen die Diffamierung als „ausländischer Agent“ und die Organisation weigerte sich, den Forderungen des Justizministeriums Folge zu leisten. Dafür fällige Strafzahlungen lehnte Ecodefense ebenfalls ab. Daher wurden gegen die Direktorin der Umweltschutzorganisation, Alexandra Koroljowa, fünf Strafverfahren eingeleitet. Die Aktivistin musste schließlich nach Deutschland emigrieren.
Wer sich in Russland politisch engagiert und Geld aus dem Ausland erhält, muss sich schon seit Jahren als „ausländischer Agent“ in ein entsprechendes Register eintragen lassen. Jede dort erfasste Person oder Organisation ist verpflichtet, den Behörden regelmäßig Berichte über die eigenen Aktivitäten sowie über die betrieblichen Ausgaben vorzulegen. Betroffen sind insbesondere Nichtregierungsorganisationen und internationale Medien.
Aktivisten in Russland seit Jahren unter Druck
Klimaaktivisten stehen Sliwjak zufolge seit sieben Jahren unter massivem Druck der russischen Behörden. „Weil wir sagen, dass die Emissionen von Treibhausgasen reduziert werden müssen, dass fürs Klima und die Zukunft gekämpft werden muss. Dies steht natürlich im Widerspruch zur Politik der russischen Regierung, die die Förderung fossiler Brennstoffe wie Öl und Gas und deren Export steigern will,“ so Sliwjak im DW-Interview.
Der Aktivist betont, dass sich die russischen Behörden allmählich des Problems des Klimawandels bewusst werden, „aber der Weg von Worten zu echten Taten ist natürlich noch weit, wir stehen jetzt noch ganz am Anfang dieses Weges“. Im Gegensatz zu Europa und zu anderen Ländern wie den USA und China werde in Russland so gut wie nichts unternommen, um gegen den Klimawandel zu kämpfen. Sliwjak sieht es als eine der größten Aufgaben für die Aktivisten, zu erreichen, dass die Behörden „anfangen das zu tun, was getan werden muss“.
Warnung vor „schwarzem Schnee“ im Kusbass
Trotz der Verfolgung durch die Behörden nahm Wladimir Sliwjak 2014 den Kampf gegen die Umweltschäden durch den Kohleabbau in Russland auf. Zusammen mit anderen Aktivisten produzierte er den Dokumentarfilm „Auf der Kohle“ über die Zerstörung der Natur und die Verletzung der Rechte indigener Völker im Kohlebecken Kusbass. Die Region in Sibirien ist Russlands wichtigstes Kohlerevier und zugleich eine der am stärksten verschmutzten des Landes. Im Winter wird die Luftverschmutzung am deutlichsten, denn dann färben sich sogar Schneeflocken schwarz. 2020 veröffentlichte Sliwjak zusammen mit Ecodefense einen ausführlichen Bericht über den Zustand der Umwelt sowie die Häufigkeit von bestimmten Erkrankungen und die Sterberate im Kusbass.
Das 50-seitige Papier kommt zu dem Ergebnis, dass die Kohleproduktion im Kusbass und der Export in den letzten anderthalb Jahrzehnten durch systematische Verstöße gegen die geltenden Umweltgesetze gesteigert werden konnte. Die lokalen Behörden hätten ihre Augen vor den Verstößen einfach verschlossen. Die Folge seien gesundheitliche Probleme vieler Bewohner der Region sowie eine erhöhte Sterblichkeit, so die Autoren.
„Dies ist wahrscheinlich der erste Bericht in meinem Leben, der durch seine Fülle an schockierenden Daten, die dazu offiziell sind, erschreckt. Aber selbst sie zeigen, dass die Lage katastrophal ist“, sagte Sliwjak damals der DW.
„Auf lokaler Ebene nahmen sich Aktivisten der Probleme an, aber allein Wladimir brachte das Thema auf der föderalen Ebene Russlands zur Sprache. Er veröffentlichte eine Reihe von Berichten und führte eine öffentliche Kampagne durch. Eigentlich schuf er die Basis für das Verständnis dessen, was in der russischen Kohleindustrie passiert“, betonte Wladimir Tschuprow von Greenpeace-Russland.
Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk
Quelle: https://www.dw.com/de/russischer-umweltaktivist-erh%C3%A4lt-right-livelihood-award/a-59339087